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Video zur Personalbemessung in der Pflege mit Farid

03.07.2023

Farid Jammali

Lesedauer: 5min

Die neue Personalbemessung in der Pflege

Oder, wie teilen wir das wenige Personal, das wir haben, am geschicktesten auf?

Dass es an allen Ecken und Enden an Pflegepersonal fehlt, ist nichts Neues. Neu ist allerdings, dass es nun auch die Politik vernommen hat. Die kommt nun mit einem kreativen Vorschlag um die Ecke: Man muss das vorhandene Personal einfach geschickt aufteilen und schon ist der Mangel ansatzweise behoben! Genannt wird das ganze „Personalbemessung“. „Knappe Ressourcen müssen möglichst wirtschaftlich eingesetzt werden“, heißt es in der „Roadmap“ des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Nun denn.

1995/96 wurde mit der Einführung der Pflegeversicherung die letzte gravierende Veränderung beschlossen. Jetzt ist es mit dem neuen Personalbemessungsverfahren also wieder soweit. Was genau versteckt sich dahinter und wer und was wird denn eigentlich bemessen? Lasst uns das Ganze mal etwas näher unter die Lupe nehmen:

Mit der Personalbemessung sollen Einrichtungen der vollstationären Pflege feststellen, wieviel Personal sie eigentlich benötigen, um eine fachgerechte Pflege zu gewährleisten. Entscheidend sind hierbei einmal die Zahl der Bewohner und deren Pflegegrad. Eine Einrichtung mit vielen Patienten und hohem Pflegegrad, braucht mehr Fachkräfte als eine Einrichtung mit wenig Bewohnern. Das ist logisch und soll deshalb nun die Basis für die neue Einteilung der Pflegekräfte bilden. Die neuen Vorgaben orientieren sich am eigentlichen Bedarf und berücksichtigen neben der Anzahl der Heimbewohner auch deren Pflegegrad. Wenn es schon an Pflegepersonal fehlt, soll dieses wenigstens passgenau aufgeteilt werden. Eigentlich ganz sinnvoll, auch wenn es den eigentlichen Pflegekraftmangel nicht weiter berührt, denn indem man die vorhandenen neu aufteilt, werden es auch nicht mehr.

Wie kam man denn überhaupt darauf? Das neue Personalbemessungsverfahren geht auf das Pflegestärkungsgesetz II vom 1. Januar 2016 zurück. In diesem Gesetz wurde festgelegt, dass bis zum 30. Juni 2020 ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur einheitlichen Personalbemessung erprobt und entwickelt werden soll. Das scheint geschehen zu sein, denn nun gilt ab 1. Juli 2023 die neue Personalbemessung und soll sich dann bis spätestens Dezember 2025 etabliert haben. Die Einrichtungen müssen also erstmal Bewohner zählen, Pflegegrade auswerten und dann rechnen.

In diesem Zusammenhang wird von mehreren Personalausbaustufen gesprochen. Das Personal der ersten Stufe ist noch kaum in den Einrichtungen angekommen und auch längst nicht in ausreichender Zahl, da spricht die Politik bereits von der zweiten. Wo sind die ausgebildeten Assistenzkräfte hin? Wo wurde ausgebaut, wenn nach wie vor großer Mangel herrscht? Wer wurde ausgebildet? Fragen über Fragen …

Diese Idee ist allerdings spannend, da bei der vorgesehen Aufteilung des Pflegepersonals 10% weniger Fachkräfte, aber gleichzeitig mehr Assistenzkräfte benötigt werden. Es wird also eine Umverteilung geben. Es stellt sich die Frage: was passiert mit dem Fachpersonal, das nun theoretisch übrig wäre? Und wo will man die Assistenzkräfte alle hernehmen, denn zurzeit gibt es noch nicht ausreichend. Man muss also ausbilden.

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Wie kann man sich das Personalbemessungsverfahren vorstellen?

Kurz gesagt, verändert sich einfach die Aufteilung der Pflegekräfte in den Häusern: Bisher war das Verhältnis 50% Fachkräfte und 50% Hilfskräfte. Nun soll es sich verschieben zu 40% Fachkräften, 30 % Assistenzkräften mit 1- oder 2-jähriger Ausbildung und 30% Hilfskräften ohne Assistenz- oder Helferausbildung.

  1. Fachkräfte (40%)
  2. Assistenzkräfte mit ein-/ oder zweijähriger Ausbildung (30%)
  3. Angelernte Kräfte (Hilfspersonal) (30%)

Was ändert sich durch die neue Aufteilung?

Für die Häuser bedeutet das, dass sie ihr Personal neu denken müssen. Erst einmal gilt es zu ermitteln, wieviel sie aufgrund ihrer Auslastung generell benötigen. Für jedes Pflegeheim wird angegeben, wie viele Bewohner in jedem Pflegegrad in der Einrichtung leben (Case-Mix). Daraus errechnet sich der Care-Mix, also die erforderliche Personalmenge in vier verschiedenen Qualifikationsstufen. Im nächsten Schritt wird dann der 40/30/30-Schlüssel angewendet.

Bisher galt ein Personalschlüssel von 50 Prozent Fachkräften und 50 Prozent Assistenzkräfte. Nun brauchen sie statt 50% nur noch 40% an Fachkräften, allerdings brauchen sie statt 50% nun 60% Assistenzkräfte mit ein- oder zweijähriger Ausbildung. Diese müssen sie erst einmal qualifizieren.

Es gibt also bald einen Mehrbedarf an Assistenzkräften mit ein- oder zweijähriger Ausbildung, der bisher nicht gedeckt ist. Bisher wurde die Ausbildung vernachlässigt und kann nun gar nicht so schnell nachgeholt werden, da die Strukturen und auch die Lehrkräfte fehlen. Hier war die Politik wieder etwas voreilig, beziehungsweise sehr theoretisch unterwegs. Aber das kennen wir ja schon. Viele neue Verordnungen sind erst einmal Papiertiger, bevor sie sich an die Wirklichkeit angleichen. Nun heißt es also: Wie qualifiziert man schnell ausreichend Kräfte?

In einer ersten Personalausbaustufe finanzierte die Pflegeversicherung seit Beginn 2021 rund 20.000 zusätzliche Stellen für Assistenzkräfte. Ab 1. Juli 2023 ist nun eine zweite Personalausbaustufe geplant und weitere mögliche Stufen dann ab 2025. Seit 2019 läuft außerdem ein früheres Stellenprogramm mit 13.000 Stellen für Pflegefachpersonen.

Ja, wo kommen sie denn her? Zu wenig Lehrer und Ausbildungsstrukturen

Auch dafür gibt es schon einen Plan: Da über Jahre hinweg gar nicht genug in die Ausbildung investiert wurde, um ausreichend Strukturen zu schaffen, existieren nun nicht genügend Ausbildungsstellen geschweige denn Lehrkräfte . Ausbildung ohne Lehrkräfte? Könnte spannend werden und funktioniert natürlich nicht. Auch das BMG räumt in der Roadmap zur Personalbemessung ein: „Die aktuelle Arbeitsmarktsituation in der Pflege kann den entstehenden zusätzlichen Bedarf an Pflegefachpersonen, Pflegehilfs- und Assistenzpersonen nicht auffangen.“ Daher hat man sich im neuen Gesetzentwurf nun dazu entschieden, dass eine Ausbildung auch gar nicht zwingend nötig ist, schließlich kann man auch alles so lernen. Auf Seite 93 des Entwurfs heißt es daher zu Punkt 40:

_„Diese setzen unter anderem weitere Anreize, Pflegehilfskraftpersonal ohne Ausbildung perspektivisch zu Pflegehilfskraftpersonal mit landesrechtlich geregelter Helfer- oder Assistenzausbildung in der Pflege ausbilden zu lassen. Sofern die Länder Regelungen treffen, nach denen Pflegehilfskraftpersonal ohne Berufsabschluss aber mit langjähriger Berufserfahrung in der Pflege als Pflegehilfskraftpersonal mit landesrechtlich geregelter Helfer- oder Assistenzausbildung in der Pflege anerkannt werden kann, soll dies auch vorliegend berücksichtigt werden können“. _

Also anerkennen statt ausbilden! So kann man mächtig sparen, braucht gar nicht so viele Lehrer und es geht auch deutlich schneller! Wir nennen die Sache einfach um und machen aus Pflegehilfspersonal ohne Ausbildung ganz einfach Pflegekräfte mit Ausbildung! So einfach geht das! Problem gelöst.

Ob ihr wirklich richtig steht …

Ab 1. Januar 2023 ist die Testphase mit einer repräsentativen Anzahl von Häusern gestartet. Auf Basis der Ergebnisse sollen dann Rechtsverordnungen auf Basis der Ergebnisse entwickelt werden. Ab 2025 wird die neue Personalbemessung dann scharf gestellt und sanktioniert. Man darf also schonmal Vorfreude bei den Häusern voraussetzen. Ob sie letztendlich davon profitieren, bleibt erstmal dahingestellt, das wird man dann im Praxistext sehen. Die bisherigen Personalschlüssel beruhen auf keinem objektiv ermittelten Bedarf und sind durchweg zu niedrig ausgefallen. Man darf nun gespannt sein, wie sich die neuen Schlüssel auf den Pflegealltag auswirken.

Es bleiben zum Schluss noch einige Fragen offen:

In einem Pflegeheim ändert sich die Anzahl und der Pflegegrad der Bewohner von Zeit zu Zeit. Wie oft werden die Daten zur Personalbemessung aktualisiert? Werden Mittelwerte genommen oder richtet sich der Personalbedarf am tatsächlichen Pflegeaufkommen aus?

Wie werden die Sanktionen ausfallen? Und wie wird kontrolliert? Wie häufig werden die Personalschlüssel aktualisiert, denn immerhin ändert sich die Zahl der Bewohner und der Pflegegrad ständig? Einige Fragen bleiben noch offen. Sobald wir die Antworten darauf haben, werden wir diesen Artikel aktualisieren.

Was bedeutet die neue Personalbemessungsgrenze für die Zeitarbeit?

Zeitarbeitsfirmen vermitteln Pflegekräfte in allen Qualifikationsstufen. Dazu gehören sowohl Fachkräfte mit ein- oder zweijähriger Ausbildung als auch Pflegehilfskräfte. Durch den neuen Personalschlüssel darf man annehmen, dass in Zukunft der Bedarf an qualifizierten Pflegekräften weiter steigen wird. Der Bedarf an ungelernten Pflegekräften dürfte dagegen sinken und sie werden voraussichtlich in Zukunft seltener vermittelt. Der Schwerpunkt wird sich also auf Pflegekräfte mit ein- oder zweijähriger Ausbildung und auch auf die Fachkräfte verlagern. Spannend sind die Ambitionen, Ausbildungsmaßnahmen weiter zu fördern, denn im Prinzip profitieren alle davon, am meisten die Pflegekräfte selbst, die so durch Ausbildung und Anerkennung einen höheren Abschluss erlangen können. Damit sind sie besser qualifiziert und können verantwortungsvollere Tätigkeiten ausüben. Die Zeitarbeit selbst bildet aktuell noch nicht aus. Es werden allerdings erste Rufe danach laut, Zeitarbeit an der Ausbildung der Pflegekräfte zu beteiligen. Bislang obliegt diese Aufgabe den Häusern.
Auch die Häuser dürften in Zukunft etwas sparen, das sie durch den neuen Schlüssel weniger Fachkräfte benötigen, dafür mehr Assistenten. Die neue Personalbemessungsgrenze dürfte also tatsächlich einige positive Folgen haben und man darf gespannt sein, wie sie sich in Zukunft auswirken wird. Eines wird sie jedoch nicht schaffen: Durch Umverteilung gewinnt man kein neues Personal. Das ist und bleibt eine Aufgabe, die in Zukunft noch dringend angegangen werden muss.

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Farid Jammali

Marketer

Farid Jammali ist begeisterter Marketer & ein Digital-Native. Seine Expertise liegt insbesondere in den Bereichen Digitalisierung & Kandidatenansprache. Seine Ambition: "Ich möchte die Branche Gesundheit & Pflege jeden Tag ein bisschen besser verstehen. Für mehr Wertschätzung der Pflegekräfte, eine bessere Work-Life-Balance & maximale Flexibilität."