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Video zur Pflegereform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit Farid J.

09.06.2023

Farid Jammali

Lesedauer: 6 min

Lauterbachs Pflegereform 2023: Von Bundestag beschlossen

Lauterbach belohnt pflegende Angehörige

Die Pflegereform ist beschlossene Sache und sie hat es in sich: Knapp 7 Milliarden Euro will man nun über erhöhte Pflegekassenbeiträge erwirtschaften. Bereits ab Juli diesen Jahres werden die Beiträge erhöht. Moderat, aber dennoch. In Zeiten der Inflation ist dies eine zusätzliche finanzielle Belastung. So soll eine stattliche Summe von 6,6 Milliarden Euro zustande kommen. 4 Milliarden davon sind pflegenden Angehörigen zugedacht. Ganz klar: Die häusliche Pflege soll attraktiver werden. Eine finanzielle Unterstützung der häuslichen Pflege war bereits überfällig und sie ist sehr begrüßenswert. Je länger und besser Familien ihre Angehörigen zu Hause pflegen können, desto später nehmen sie Pflegeheime in Anspruch. Will man so dem Personalmangel auf andere Art beikommen?

Betrachtet man die Reform genauer, so fallen ein paar Dinge auf:

  1. Die Reform wird komplett auf dem Rücken der Beitragszahler ausgetragen
    Die Reform wird komplett auf dem Rücken der Beitragszahler ausgetragen, wie auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GVK) bemängelt. „Sie allein bringen über den Anstieg des Beitragssatzes das zusätzliche Geld auf, nicht die Bundesregierung.“ Davon dass Pflege eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, merke man nicht viel. Der Verband warnt außerdem vor einer finanziellen Überforderung von Beitragszahlenden sowie Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen.

  2. Die Reform legt ihren Schwerpunkt auf die häusliche Pflege
    Die Reform legt einen Schwerpunkt auf die Unterstützung Pflegebedürftiger, die zu Hause gepflegt werden. Sie bekommen Zuschüsse und mehr finanzielle Freiheit.

  3. Die Personalnot verschärft sich weiter
    Pflegeheime bekommen die Kosten für Zeitarbeit nur noch bis zur Höhe der Tariflöhne von den Pflegekassen finanziert. Als Folge werden die Heime weniger Zeitarbeiter engagieren, was wiederum die Frage nach sich zieht, wie Personalmangel anderweitig kompensiert werden kann. Springerpools sind bislang nicht ausgereift und das Stammteam wird kaum zusätzlich als Springer zur Verfügung stehen.

Die Pflegereform berücksichtigt die Tatsache, dass 6 von 7 Personen aktuell bereits zu Hause gepflegt werden und schüttet ihre Mittel auch dorthin aus: in den häuslichen Raum. Angehörige werden in Zukunft einige Erleichterungen haben, wenn sie zu Hause pflegen.

Die Pflegekassen brauchen Geld: SPD- Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat nun mit seiner Pflegereform eine Lösung auf den Weg gebracht, die die Pflegekassen zunächst einmal über die Legislaturperiode bringt. Die Lücke wurde auf 2,6 Milliarden Euro beziffert: Genau so viel soll die Reform den Kassen nun einspielen. Die Ampel stellt damit der Pflegekasse genügend Geld zur Verfügung, um sich die nächsten Monate und genau über die Wahlperiode zu retten. Daraus folgt auch die Kritik der Pflegekassen und Verbände: Eine Lösung, die nicht über die Legislaturperiode hinausgeht, ist zu kurzfristig.

Und so setzen sich die erhöhten Beiträge zusammen:

Höhere Beiträge und Entlastung für Eltern

Der allgemeine Beitragssatz wird ab Juli um 0,35 Prozentpunkte auf 3,4 Prozent angehoben. Der Arbeitgeberanteil beträgt künftig 1,7 Prozent, statt bisher 1,525 Prozent. Für Arbeitnehmer staffelt sich der Beitrag nach der Anzahl der Kinder:

Kinderlose zahlen künftig 2,3 Prozent
Arbeitnehmer mit einem Kind 1,7 Prozent
Ab zwei Kindern wird der Beitrag bis zum fünften Kind um 0,25 Punkte abgesenkt, sofern die Kinder unter 25 Jahre sind.

Der Beitrag, den Eltern mit mehreren Kindern zur Stabilisierung des Pflegesystems leisten, wird damit in Zukunft stärker anerkannt. Ab dem zweiten Kind werden Versicherte also deutlich entlastet.

Bundesregierung kann Beiträge durch Rechtsverordnung erhöhen

Um kurzfristig schneller auf Finanzengpässe der Pflegeversicherung zu reagieren, kann die Bundesregierung künftig die Beiträge durch eine Rechtsverordnung erhöhen. Bisher war dazu ein Bundestagsbeschluss notwendig. Der hat weiterhin Einspruchsrecht: Er kann Verordnungen ändern oder ablehnen.

Geld- und Sachleistungen: Pflegegeld für die häusliche Pflege

In der häuslichen Pflege gibt es Änderungen:

  1. Das Pflegegeld soll sich Anfang des kommenden Jahres um 5 Prozent erhöhen. Bisher beläuft es sich je nach Pflegegrad auf 316 – 901 Euro. Pflegebedürftige erhalten es von der Pflegekasse, wenn sie von Angehörigen oder Freunden versorgt werden. Seit 2017 war dieses Geld nicht mehr erhöht worden. Nun erhalten sie also mehr. Durch die Erhöhung soll die häusliche Pflege gestärkt werden, denn nach Angaben des statistischen Bundesamtes werden fünf von sechs Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt.

  2. Auch die Sachleistungsbeiträge für die Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes sollen Anfang kommenden Jahres um 5 Prozent erhöht werden.

  3. Angehörige können künftig das Pflegeunterstützungsgeld (als Lohnersatzleistung) bis zu zehn Arbeitstage im Kalenderjahr in Anspruch nehmen und nicht mehr einmalig insgesamt zehn Arbeitstage. Pflegeunterstützungsgeld wird dann ausgezahlt, wenn Beschäftigte in einer akuten Situation schnell die Pflege ihres Angehörigen organisieren müssen.

Pflegende Angehörige:
Pflegende Angehörige sollen flexibler werden, indem sie Gelder individueller einsetzen können: Bisher waren die Verhinderungspflege und die Kurzzeitpflege Einzelleistungen. Ab Juli 2025 sollen sie in einem Jahresbudget von 3539 Euro gebündelt werden. (Angehörige können das Geld für die Verhinderungspflege beispielsweise für einen ambulanten Dienst oder eine Kurzzeitpflege einsetzen, wenn sie mal krank sind oder eine Pause brauchen.)

Bewohner von Pflegeheimen
Die Eigenanteile der Pflegeheimbewohner sind stark gestiegen. Daher werden auch die Zuschläge erhöht, die die Pflegekasse den Pflegebedürftigen seit Januar 2022 zahlt. Die Länge der Aufenthaltsdauer im Heim entscheidet dabei darüber, wie stark die Zuschläge jeweils steigen: Im ersten Jahr gibt es einen Anstieg von 5 auf 15 Prozent, im zweiten Jahr von 25 auf 30 Prozent und im dritten Jahr von 45 auf 50 Prozent, ab dem vierten Jahr dann von 70 auf 75 Prozent. Nach Ansicht der Ersatzkassen ist die Erhöhung dennoch zu gering, um die Kostensteigerungen zu kompensieren, die aktuell bei circa 2411 monatlich liegen. Sie decken also nicht die Kosten für einen Platz im Pflegeheim, sodass Gepflegte und ihre Familien weiter sehr stark belastet werden, sobald es darum geht einen Platz im Pflegeheim zu finanzieren. Nicht jeder wird sich das leisten können und sich aus Angst vor hohen Kosten eher dafür entscheiden, seine Angehörigen zu Hause zu pflegen.

Das waren die wichtigsten Änderungen der Pflegereform. Neben mehr Geld für die Pflegekasse liegt der Schwerpunkt liegt hier ganz klar auf der häuslichen Pflege.

Liegt die Zukunft in der häuslichen Pflege statt Heimplatz?

Statistiken zeigen, dass aktuell 5 von 6 Personen zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt werden. Lauterbach will nun mit den Änderungen seiner Reform die häusliche Pflege stärken und bessere Bedingungen für die Pflege von Angehörigen schaffen. Viele werden dieses Angebot dankbar annehmen, da es tatsächlich Entlastungen bietet. Allerdings gibt es einige Grenzen der häuslichen Pflege.

  1. Lebensumstände:
    Auch wenn viele versuchen, ihre Angehörigen zu Hause zu pflegen, ist ihnen das häufig beruflich gar nicht möglich, da sie aufgrund einer 40-Stunden-Woche und/oder weit entfernten Wohnorten gar keine Möglichkeit haben, zu pflegen.

  2. Belastung:
    Ein weiterer Punkt ist, dass häusliche Pflege ab einem bestimmten Pflegegrad eine große persönliche und auch zeitliche Belastung für die Pflegeperson darstellt, die – pflegt sie Vollzeit – keinem Beruf mehr nachgehen kann.

Genau das ist das Dilemma: Plätze im Pflegeheim sind teuer und werden noch teurer. Häusliche Pflege, die oft als günstigere Lösung gesehen wird, nimmt die Pflegeperson so in Anspruch, dass auch sie sehr ins Budget fällt. Klartext: Einer muss zu Hause bleiben, wenn Oma alt wird.

Personalbemessung ab Juli fällt zusammen mit Pflegereform ab Juli

Pflegeheime müssen ab Juli einen bestimmten Personalsatz vorhalten. Sobald die Personalbemessung in Kraft tritt, ist genau vorgeschrieben, wieviele Pflegekräfte mit welcher Qualifikation sie beschäftigen müssen. Können sie die Vorgaben nicht erfüllen, drohen Strafzahlungen oder Bettenschließungen. Bisher konnte man kurzfristige Engpässe leicht mit Zeitarbeitskräften füllen. Sie sprangen genau für die Zeit ein, in der ein Mitarbeiter fehlte. Die Möglichkeit besteht auch in Zukunft, doch die Kassen erstatten nur noch die Kosten bis zur Höhe der Tarifverträge. Alles, was darüber liegt, müssen die Häuser selbst tragen. Dann wird gegeneinander abgewogen: Ist es günstiger, kurzfristig einen externen Mitarbeiter zu beschäftigen, um die Personalquote zu erfüllen oder verursacht es weniger Kosten, vorübergehend weniger Pflegebedürftige zu betreuen? Kosten für Personal aus Springerpools werden hingegen komplett übernommen. Doch wenn die Einrichtungen sowieso schon am Limit laufen, sind Springerpools unrealistisch. Woher will man das Personal nehmen, wenn schon für den regulären Betrieb Personal fehlt? Gelingt es den Pflegeheimen nicht, eine zukunftsfähige Lösung zu finden, werden zunehmend Heime schließen. Es wird dann weniger Pflegeplätze geben, sodass immer mehr Familien darauf angewiesen sind, die Zeit, bis Opa einen Platz im Heim bekommt, mit häuslicher Pflege zu überbrücken.

Fazit:

Die Pflegereform zeigt also einige spannende Ansätze, die nur teilweise etwas Gutes verheißen. Die stationäre Pflege ist bereits überlastet. Nun soll in der häuslichen Pflege also ein stabiles zweites Standbein entstehen. Dafür bekommt sie auch noch einmal 4 Milliarden – nicht vom Staat, sondern vom Beitragszahler selbst. Der Staat hält sich wieder einmal schön heraus, obwohl es so nötig wäre, endlich einmal in die Pflege zu investieren.

Mit Blick in die Zukunft ist anzunehmen, dass stationäre Pflege exklusiver wird. Die Schere zwischen Arm und Reich wird sich weiter auftun. Steigen die Kosten für stationäre Pflege weiter, können sich in Zukunft nur noch reiche Menschen einem Heimplatz leisten. Dies mag zwar zur Folge haben, dass die stationäre Pflege dadurch wieder an Qualität gewinnt, da weniger Menschen stationär gepflegt werden, doch ist das erstrebenswert? Trotz Entlastungen ist es für viele jetzt schon schwer, einen Pflegeheimplatz langfristig zu finanzieren. Und die Kosten steigen weiter. Kann es wirklich das Ziel sein, dass sich auf Dauer nur noch die vermögende Gesellschaft einen Pflegeplatz leisten kann und allen anderen die häusliche Pflege bleibt? Im Moment scheint der Trend dahin zu gehen. Wie denkt ihr darüber?

Fragen, die in dem Zusammenhang auftauchen:

  1. Was ist der Beitrag der Bundesregierung? Sie wälzt alles auf die Beitragszahler ab. Wie seht ihr das? Hätte man das besser lösen können?

  2. Soll der Schwerpunkt sich von der stationären Pflege noch weiter in den häuslichen Bereich verlagern, indem man die Bedingungen dafür deutlich verbessert?

  3. Was geschieht, wenn Pflegeheime die Kosten für Zeitarbeit nur noch teilweise erstattet bekommen? Werden sie dann weniger Zeitarbeiter buchen? Und wenn ja, wie füllen sie die Lücken? Diese Regelung könnte eher zum Problem für Pflegeheime werden oder wie seht ihr das?

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Farid Jammali

Marketer

Farid Jammali ist begeisterter Marketer & ein Digital-Native. Seine Expertise liegt insbesondere in den Bereichen Digitalisierung & Kandidatenansprache. Seine Ambition: "Ich möchte die Branche Gesundheit & Pflege jeden Tag ein bisschen besser verstehen. Für mehr Wertschätzung der Pflegekräfte, eine bessere Work-Life-Balance & maximale Flexibilität."